Wirtschaftswissenschaftler verlassen sich gern ganz auf ihre Analysen. Doch damit wird nur die halbe Wahrheit gesehen. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird so völlig unzureichend betrachtet.
Martin Schulz, SPD Kanzlerkandidat, hatte das Thema Gerechtigkeit als Kernthema für seinen Wahlkampf mit den Sozialdemokraten definiert. Kaum geschehen, nahmen die ersten Ökonomen es auf’s Korn. Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), provozierte damals mit der These „Die Frage der Gerechtigkeit ist nicht diejenige, um die es jetzt gehen sollte.“ Stattdessen solle es um einen „Wohlstand für alle“ gehen. (Kolumne für ZEIT ONLINE)
Neu ist so ein Standpunkt nicht. Er könnte auch kurz nach dem 2. Weltkrieg oder in den siebziger Jahren formuliert worden sein. Es geht dabei um die alte Geschichte vom Kuchen, der größer gebacken werden muss (Milton Friedman). Nur das sichere den Zusammenhalt der Gesellschaft, oder, in Ludwig Erhards Worten „Wohlstand für alle“. Erreicht werden sollte das über Bildungsoffensiven, die gut ausgebildete Fachkräfte für den Arbeitsmarkt verfügbar machen und damit fleissig zum Bruttosozialprodukt beitragen.
Letztlich ist das eine stark verkürzte Sichtweise, denn damit reduziert sich alles auf die Verbesserung des Produktionsfaktors Arbeit (neudeutsch: Human Resources). Trotzdem wird es als beinahe religiöses Heilsversprechen von vielen Ökonomen propagiert. Wenn wir nur den Wohlstand für Alle steigern, wird alles gut. Da überrascht es dann nicht mehr, dass die meisten Ökonomen die gesellschaftliche Gerechtigkeitsdiskussion eher für überflüssig halten.
Wohlstand allein führt nicht zu Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Bei genauer Betrachtung führt die o.a. Argumentation direkt an den wirklich relevanten gesellschaftlichen Fragen vorbei. Wir müssen die rein ökonomische Betrachtung beenden, denn der Zusammenhalt von Gesellschaften ist vor allem auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
Die immer schnellere Nutzung von Innovationen am Markt und damit verbundene Veränderungen der Märkte weltweit, sorgen auch für Brüche bis zur Zerstörung von Karrieren und Lebensentwürfen. „Wohlstand-für-Alle“ Slogans helfen da nicht mehr. Von dieser Entwicklung fühlen sich viele Menschen abgehängt, ihre Situation empfinden sie als ungerecht.
Soziale Gerechtigkeit ist eine Frage subjektiver Natur. Dabei geht es um eine von den Menschen wahrgenommene Gerechtigkeit. Die aber betrifft nicht allein das wirtschaftliche Auskommen.
Damit ist es schwierig, das Thema mit den traditionellen Instrumenten der Wirtschaftswissenschaften zu bearbeiten. Denn sie lassen die menschlichen Interpretationen in ihren ganz spezifischen sozialen Zusammenhängen für das Verstehen und Gestalten einer Gesellschaft sowie kulturelle Sinndeutungen einfach außen vor.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten. Der Slogan „Make America Great Again“ brachte ihm den Wahlsieg. Schaut man sich die Daten der wirtschaftlichen Entwicklung während der Obama-Präsidentschaft an, kommt man objektiv zu dem Ergebnis, dass die USA rein ökonomisch betrachtet recht gut dastehen. Die Zustimmung zu Trump’s Wahlslogan durch einen beträchtlichen Teil der amerikanischen Gesellschaft lässt diese Menschen als irgendwie durchgeknallt, irrational, erscheinen.
Verteilungs- und Teilhabefragen
Die Trump-WählerInnen stört das alles kein bischen. Warum auch immer sie Donald Trumpt gewählt haben, es sind zuallererst kulturelle Gründe eben nicht die wirtschaftlichen Probleme. Es geht um difuses wie Religion, mal was Neues, Angst vor Fremden, eine Frau als Präsidentin?, was auch immer sonst noch in Frage kommt.
Fragen wir uns aber ehrlich, ob eine Gerechtigkeitsdiskussion in Gesellschaft und Politik stattfinden sollte, ist diese Frage eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Besonders die Fragen nach fairen und gerechten Miteinanders treiben uns um. Dabei interessiert uns der ganz konkrete Lebenskontext statt einer abstrakten philosophischen Gerechtigkeitsdiskussion.
Deshalb müssen Ökonomen diese Fragen ernst nehmen, denn Ökonomie ist in gesellschaftliche Zusammenhänge fest eingebunden. Zwar machen kulturelle Phänomene die Welt der Wirtschaft komplexer und komplizierter, aber Menschen sind eben nicht nur ökonomisch aktiv.
Eine moderne, zukunftsfähige Wirtschaftswissenschaft muss sich daher auch mit den Problemen der Gesellschaft befassen, muss auch Verteilungs- und Teilhabefragen thematisieren und Antworten geben.
Damit jetzt keine Missverständnisse entstehen: wirtschaftliche Analysen sind enorm wichtig. Aber wir wissen auch, wenn wir nur die halbe Wahrheit betrachten, diese Sicht schnell in den vollständigen Irrtum führt. Ohne den Blick auf kulturelle, nicht-ökonomische Faktoren werden ökonomische Analysen ihre Ziele verfehlen, weil sie an den Menschen vorbei gehen.